Stockdegen, von Joseph Joachim als Reliquie Haydns erworben
Stockdegen, Holzstab mit Beingriff in Metallfassung
England, Mitte 19. Jh. – Holz, Bein, Horn, Messing ; ca. 86 x 3 cm
Der Stockdegen wurde dem Beethoven-Haus von den Kindern Joseph Joachims überlassen, die irrigerweise glaubten, er stamme aus dem Besitz Beethovens bzw. Haydns.
Am 5. September 1912 erläuterte Joachims Sohn Johannes brieflich den Irrtum: "[...] Nach dem Tode meines Vaters fanden wir in seinem Nachlass einen Spazierstock (18. Jahrh.), von dem wir wussten, dass mein Vater ihn als von einem unserer Grossen stammend besonders wert gehalten hatte - ich glaubte mich zu erinnern, dass er von Beethoven stamme, und wie ich das äusserte, bestätigte es mein Bruder nach Kindheitserinnerungen auf das Lebhafteste. [...] Leider haben wir uns getäuscht - der Stock stammt nicht von Beethoven, ist aber, wie ich glaube, doch würdig, im Beethovenhaus aufbewahrt zu werden - nur freilich mit veränderter Etikette: Er hat einst Haydn gehört (was ich persönlich eigentlich noch viel netter finde). Ich fand nämlich bei Sichtung der Korrespondenz meines Vaters folgende Briefstelle an meine Mutter aus London [Febr. 1869]: "Denke einmal, neulich schenkte mir ein Herr Russell (Vetter des Earls) einen Stock, der dem alten Haydn Jahre lang als Stütze gedient hatte und von einem Freund desselben an Herrn Russel kam. Ist das nicht nett? [...]"
Nach materialkundlicher Untersuchung von Dipl. Rest. Karl Tobias Friedrich vom MAKK Köln wohl nicht aus dem 18. Jahrhundert: "Griff: Bein (vermutlich Rinderknochen), gefeilt und poliert. Montage des Degenhefts durch Klebung (Naturharz, vermutlich Kollophonium) und Schäftung in Holz unter einer Hülse aus einer gelblich-weißen Kupferlegierung (vermutlich Neusilber). Die Scheide besteht aus einem im Querschnitt tropfenförmig geschliffenen, innen aufgebohrten Rundholz; die Spitze der Scheide/des Stockes besteht aus Horn (vermutlich Rind). In der Summe entsteht der Eindruck eines mit partieller Zuhilfenahme von Maschinen und wenig preziosen Materialien hergestellten Gebrauchsgegenstands. Die breite industrielle Verwendung von Neusilber beginnt ab den 1820er Jahren, der Stockdegen wäre demzufolge tendenziell dem mittleren 19. Jh. zuschreibbar."
Provenienz: Erben Joseph Joachims; von Joseph Joachim 1869 in England als Geschenk erworben vom Ersten Earl Russell, einem Vetter John Russells
Zugang: 12/1907, Geschenk
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R 32Stockdegen, von Joseph Joachim als Reliquie Haydns erworben1830-1870=Mitte 19. Jh.