Clemens Brentano, Gedicht "O ewiger, Allgegenwärtiger!" zur Silberhochzeit von Franz und Antonie Brentano am 23. Juli 1823, Autograph, Fragment
NE 342 d-f
Textanfang: "Die seelige Mutter Maximiliane an den Sohn Franz Brentano am silbernen Hochzeitsfest". – "der seelige Vater Peter Anton an seinen Sohn Franz Brentano am silbernen Hochzeitsfest". – "die seelige Schwester Sophie an den Bruder Franz Brentano am silbernen Hochzeitstage"
Eigenhändige Reinschrift dreier Gedichtteile ohne Verfasserangabe und Datum. Autor/Schreiber ermittelt nach NE 342 g. Datum ermittelt nach NE 342 b-c. Nach der Frankfurter Brentano-Ausgabe handelt es sich nicht um drei selbständige Gedichte, sondern um drei Teile eines Gedichts, dessen Anfang "O ewiger, Allgegenwärtiger! in Zahlen" hier fehlt.
Franz und Antonie Brentano heirateten am 23. Juli 1798 (siehe Heiratsurkunde VBH 257). In den Huldigungsgedichten lässt Clemens Brentano verstorbene Familienmitglieder (Mutter Maximiliane von La Roche, Vater Peter Anton Brentano und Schwester Sophie Brentano) zu Wort kommen. Möglicherweise wurden die Gedichtblätter mit einem silbernen Herz übergeben und einem Deckblatt aufbewahrt (NE 342 b-c).
Provenienz: Privatbesitz
Zugang: 05.12.2014, Kauf
Zur Silberhochzeit von Franz und Antonie Brentano am 23. Juli 1823 verfasste Franz' Halbbruder Clemens Brentano ein großes ernstes Gedicht, in dem er verstorbene Mitglieder der Familie Brentano auftreten ließ und auf Familienanekdoten anspielte: Vater Peter Anton (1735-1797), Stiefmutter Maximiliane (geb. von La Roche, 1756-1793) und Halbschwester Sophie (1776-1800). Bei den Strophen über Sophie hatte Clemens Brentano die Porträtminiatur seiner älteren Schwester vor Augen, auf der sie den Kopf auf die linke Hand aufstützt, welche zugleich ihr linkes Auge verdeckt. Sophie hatte es als Kind bei einem Unfall verloren. Vor der Verlobung von Franz und Antonie war Sophie dazu auserkoren worden, Antonie in Augenschein zu nehmen.
Die drei Gedichte bilden zusammen mit einem hier fehlenden Text eine Einheit. Der fehlende Gedichtteil lautet in der Frankfurter Brentano-Ausgabe: "O ewiger, Allgegenwärtiger! in Zahlen / Giebst du Geheimnissen Gestalt. Mit Strahlen / Preißt Licht ausbrechend aus dem Kern, den Herrn. / Fünf Lichtes Zungen preißen dich im Stern, / Fünf Zungen in der Blume, in der Krone / Fünf Sinne in dem Menschen Kind. Im Gottessohne / Fünf Wunden! O du wurderheil'ge Zahl! / Fünf Heiles Quellen aus der fünfach herben Qual! / Zahl! die den Bräutigam der Kirche treu vermählt / In dir der Mensch sein Ehefest auch zählt. / So wird, weil heilge Zahl sich selbst heut mehrt, / Das Fest der Ehe silbern heut geehrt. / Frommt's, Grüß' euch auch der goldne Tag auf Erden! / Und dort der lichte Tag, wo sie nicht freien werden, / Wo Alle wir nur eine einzge Braut, / Die Kirche sind dem Bräutigam getraut, / Daß wir zu solchem Ehefest uns üben, / Laßt durch die Kirche uns im Heiland lieben. / Wir Kinder suchen heute spielen ihn, / Nach Golgatha laßt uns durch Kana ziehn! / Zur Hochzeit sind wir Seelen auch geladen, / Wir blicken her an diesem Tag der Gnaden / Von Trähnenbächen aus dem andern Lande / Und flehn: Helft reinigen die Festgewande, Auf daß wir Hochzeitlich einst sind gekleidet / Beim Mahl, das uns der Königsohn bereitet."
Text NE 342 e: "der seelige Vater Peter Anton / an seinen Sohn Franz Brentano am silbernen / Hochzeitsfest. / den Vater und die Mutter sollst du ehren, / daß deine Tage lang auf Erden währen! / Ja! liebes Paar, da[s] hast du treu gethan / drum sehn sie segnend euer Fest mit an. / Ich Peter Anton war ein strenger Mann / doch du mein Franz! fielst niemals in den Bann, / denn dienend, darbend, hast du treu erworben, / durch dich nur bin ich sorgenlos gestorben / Rücklassend eine manichfache Glut / In meiner Länder Herz in deiner Hut! / Ein Musterleben lebtest du in Treue / Und alle huldigen dir in Lieb und Reue. / Ich hab dein Weib dir selber auserlesen, / Aus dreien ist die rechte sie gewesen. / Hierin auch warst du mir ein frommer Sohn! / Was du mir warst, das werde dir zum Lohn! / Gönnt Enkel! meiner Seele ihre Ruh' / Ich rufe euch aus meinem Grabe zu: / den Vater und die Mutter sollt ihr ehren, / daß eure Tage lang auf Erden währen!"
Text NE 342 d: "Die seelige Mutter Maximiliana / an den Sohn Franz Brentano am silbernen / Hochzeitsfest. / Heil deinem Fest! mein Franz, mein Sohn, mein Freund. / Du meiner Lieder Bruder Trost und Halt, / die heißer nicht, als du um mich geweint, / Schon oft ist meine seele dir genaht, / Und legte kühlend dir auf heiße Wunden / das Mutterherz, das du in meiner Brust gefunden. / Auch heut zu deinem Feste kehr ich wieder. / Und lasse auf dein gutes Weib mich nieder / Und auf mein Patchen und auf All die deinen, / durch meinen Dank gen dich, sind sie die Meinen, / was mich betrübte, Franz, / betrübte dich, / dein Herz hob stets bei meiner Freude sich, / So dank ich segnend denn in reiner Liebe. / Tust ja kein Seelenzug der nicht gesegnet bliebe!"
Text NE 342f: "Die seelige Schwester Sophie / an den Bruder Franz Brentano am silbernen / Hochzeitstage. / Dies Bild, das einer andern Abbild war, / Stellt mich die eine andre Wurde dar, / Zu Ruhen, Sinnen, Schlummern birgt ihr Haupt / Ein Aug arm lehnend, Mir war es geraubt, / Das Andre blickt gar innig in die Zeit, / So thu auch ich aus meiner Ewigkeit / Zu dir und ihr, um die ich treu dir warb, / Selbst unerwerblich, warb ich dir, und starb. / Mein Theurer Bruder, liebe Toni, sagt mir an, / Hab ich euch gut gewählt, ist aller Wahn, / des Sinnenthaues Rausch ist er zerronnen, / Steht bald die Wahrheit nackt im Licht der Sonnen, / Die keusche Wahrheit, die vom Fleisch entkleidet / In Kreuzes form die Arme in uns breitet? / Ich habe zur Erkenntniß euch verbunden, / Dann ward das blinde Aug mir dort entbunden. / Jezt seh ich hell, und kenn' ein andres Lieben, / Oh ihr, die in der Gnadenraum geblieben, / Wo meines Liebsten Blut zur Erde thaut' / Schminckt opfernd meine Wangen, daß ich Braut / Zum blut'gen Keltertreter blühend ein kann ziehen, / Füllt meine Lampe an, euch ists verliehen. / Ihr stehet bei dem Wein, ich bei den Tränen, / Hier ist es ernst, o kühlt mein heißes Sehnen, / Für mich aufopfernd wahren Weinstocks Blut, / Auf daß die Ruhende ganz seelig ruht, / Nur dieser Kelch des Fests kann mir gesunden, / Seit beide Augen sich dem Licht entbunden. / Daß mir nichts fehle, mögt ihr liebend denken, / Gebt der Geringsten einen Trunk den Herrn zu Tränken." (F. G.)
Literatur: Clemens Brentano, Sämtliche Werke und Briefe, Band 3,3. Gedichte 1820-1826. Text, Lesarten und Erläuterungen, hrsg. von Michael Grus, Stuttgart u. a., 2002, S. 43-47 und S. 196-226. - Armin Strohmeyr, Die Frauen der Brentanos. Porträts aus drei Jahrhunderten, 2. Auflage, Berlin, 2006.
Schlagwörter:
Brentano, Antonie / Brentano, Franz / Dokument / Hochzeit / Jubiläum / 1823 / Gedicht
La Roche, Maximiliane / Brentano, Peter Anton / Brentano, Sophie / Gedicht / 1823
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